A. Geschichtliche Bedeutung
Die St. Clemens-Kirche und das Kolping Hospiz in der Stresemannstr. 66 wurden im Jahre 1910 vom späteren Bischof von Münster, dem sel. Clemens August Kardinal von Galen erbaut und 1911 konsekriert.
1. Bau des Kolping-Hospizes und der St. Clemens Kirche
Das Kolping-Hospiz und die St. Clemens Kirche wurden von Clemens von Galen 1910 zur Unterstützung der nach Berlin strömenden Wandergesellen und Handwerker erbaut. Das Ensemble ist daher ein Zeugnis der Phase des gesellschaftlichen Aufbruchs Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts und spiegelt zugleich die zunehmende Emanzipation der Katholiken in Berlin wieder. Im Rahmen des Kulturkampfes des 19. Jahrhunderts hatten Berliner katholischen Glaubens erhebliche Einschränkungen in ihrer Religionsausübung hinnehmen müssen, was sich nicht zuletzt in den Kirchenbauten dieser Zeit widerspiegelt (sog. Straßen- und Hinterhofkirchen).
Die Katholiken bildeten in Berlin eine kleine Minderheit, aber durch die Aufbruchstimmung um die Jahrhundertwende strömten Massen, darunter Handwerker und arme Wandergesellen, nach Berlin. Von Galen war mit der Leitung des Gesellenvereins für ganz Berlin betraut und erkannte die soziale Situation in der Großstadt-Diaspora, war doch der Mainzer Bischof Wilhelm Emmanuel von Ketteler, ein Wegbereiter der katholischen Sozialbewegung im 19. Jahrhundert, sein Großonkel. Das Anliegen von Adolph Kolping, Wandergesellen zu helfen und sie religiös zu begleiten, nimmt er ernst. Im Jahre 1907 führt von Galen Grundstücks-Verhandlungen für ein neues Gesellenhaus und erwirbt ein Grundstück am Anhalter Bahnhof, der wichtigsten Station für Reisende, Berufstätige und Einwanderer, die täglich nach Berlin strömen. 45.000 Goldmark stellt er noch für den Bau eines Gesellenhauses mit Wohnraum für 200-400 Menschen zur Verfügung, indem er sich sein Erbteil auszahlen lässt. Den Rest seines Erbteils stiftet er für den Bau kirchlicher Gebäude seiner Pfarrei. Die neu gebaute Kirche St. Clemens wird nahezu komplett von ihm finanziert. An dieser Kirche wird von Galen 1911 Kurator und damit selbstständiger Seelsorger des 3.000 Katholiken zählenden Seelsorgebezirks.
2. Das Kolpinghospiz und die St. Clemens Kirche als eines der ersten Beispiele sozialutopischen Wohnungsbaus
Der von ihm erbaute Gebäudekomplex ist in dieser Form sicherlich architektonisch einzigartig. Er enthält neben Wohngebäuden, die sich um die zentral im Hof gelegene Kirche gruppieren, mehrere Veranstaltungssäle, eine Dachterrasse und alles, was für das soziale Leben der Handwerksgesellen damals erforderlich war. Das Gebäudeensemble bildet damit eine kleine Stadt in der Stadt. Vor dem Hintergrund der menschenunwürdigen Lebensbedingungen in den überfüllten Mietskasernen im Berlin dieser Zeit ist das Kolping-Hospiz zugleich ein Beispiel für die bauliche Verwirklichung der Ideale der katholischen Sozialbewegung des 19. Jahrhunderts, die darum bemüht war, den Ärmsten menschenwürdige Wohnbedingungen abseits der überfüllten Wohnquartieren zur Verfügung zu stellen. Der Kontrast dieser Wohnquartiere zum Kolping-Hospiz, das nicht nur menschenwürdige Wohnungen, sondern auch Vereinsräume, Freiluftterassen und Orte der Seelsorge umfasste, und damit auch den sozialen und seelsorgerischen Bedürfnissen der Handwerker nachkam, bildet damit ein beredtes Zeugnis und ein wertvolles Baudenkmal für die Sozialbewegung der Berliner Gründerjahre. Dass der gesamte Komplex nicht nur funktional nützlich und brillant durchdacht sondern auch ästhetisch ansprechend gestaltet ist, macht ihn zu einem architektonisch wertvollen Baudenkmal ersten Ranges.
3. Die St. Clemens Kirche als typisches Beispiel der sog. Hinterhofkirche
Das architektonische Zentrum des gesamten Komplexes bildet die historische St. Clemens Kirche, die als Hinterhofkirche erbaut worden ist. Die besondere bauliche Lage der Kirche in einem von der Straße nicht einsehbaren Hinterhof und in diesem Fall sogar noch hinter dem Vorderhaus versteckt, spiegelt die Benachteiligung der katholischen Minderheit im Berlin des 19. Jahrhunderts wieder und ist damit wichtiger Zeuge eines entscheidenden Abschnitts in der Berliner Geschichte. In der Folge der nachreformatorischen konfessionspolitischen Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts und der Festlegungen des Westfälischen Friedens von 1648 hatten Katholiken in protestantisch regierten Territorien (cuius regio, eius religio – wessen Herrschaft, dessen Religion) kein Recht auf öffentliche, ja kaum auf private Religionsausübung. Wenn es im reformatorisch geprägten Brandenburg-Preußen dennoch zur Duldung von Katholiken kam, dann im Zusammenhang der Militärpolitik, insbesondere des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. Weitere Veränderungen ergaben sich nach der Eingliederung Schlesiens mit dem Fürstbistum Breslau, als Friedrich II. in Berlin nicht nur den Bau einer katholischen Kirche zuließ, sondern dafür auch den Baugrund zur Verfügung stellte, so dass am 1. November 1773 die St. Hedwigskirche geweiht werden konnte. Im 19. Jahrhundert hat sich allerdings im Verlaufe des sog. Kulturkampfes die Situation der katholischen Minderheit in Berlin weiter verschärft, die im Verbot des Jesuitenordens einen seiner Höhepunkte erreichte. Diese Entwicklung spiegelte sich nicht zuletzt im Kirchenbau wieder. Katholische Kirchen konnten in der Regel keine dominierende städtebauliche Stellung einnehmen. Oft wurden sie, wie etwa Herz-Jesu in der Fehrbelliner Straße, nahtlos in die Strassenfassade eingefügt. Oft wurden sie aber auch, wie etwa St. Clemens, nur als sog. Hinterhofkirchen erbaut. Diese Architektur ist daher bauliches Spiegelbild der Situation der katholischen Minderheit in der Gründerzeit. Sie spiegelt gleichzeitig aber auch die praktischen Erfordernisse einer Stadtmission in Zeiten des von Enge geprägten Berlin der Aufbruchszeit wieder. Eine Stadtmission musste, wenn sie die Arbeiter und Handwerker erreichen wollte, damit gleichsam in die Hinterhöfe gehen.
4. St. Clemens als erste offizielle Niederlassung des 1873 verbotenen Jesuitenordens
St. Clemens ist aber auch steinernes Zeugnis für die wechselvolle Geschichte des Jesuitenordens in Berlin. Die Geschichte der Jesuiten, der Gesellschaft Jesu (Societas Iesu), in Berlin kann sich nicht vergleichen mit der Historie der großen alten Orden, wie etwa der Zisterzienser, die das Land urbar machten, ihm Bildung und Kultur brachten, oder mit dem Wirken der Dominikaner und Franziskaner, die bereits in vorreformatorischer Zeit vor allem in brandenburgischen Städten ihre Geschichte haben. Erste Versuche, in Berlin Fuß zu fassen, gab es bereits Ende des 18. Jahrhunderts, allerdings waren sie nicht von langer Dauer. Mit dem Ausbruch des Kulturkampfes wird am 4.7.1872 das “Jesuitengesetz” erlassen: Jesuiten und ihnen verwandte Orden werden aus dem Reich ausgewiesen, ihre Niederlassungen werden aufgelöst, Ausländer können ausgewiesen werden, deutschen Ordensangehörigen kann der Aufenthalt an bestimmten Orten polizeilich zugewiesen oder verboten werden. Nur noch solchen Geistlichen durften kirchliche Ämter übertragen werden, die der Regierung genehm waren. Trotz des Verbotes hielten sich um 1900 mehrere Jesuiten in Berlin auf, und fanden unter anderem auch in St. Clemens Unterkunft bei Clemens August Graf von Galen. Als ehemaliger Student der theologischen Jesuitenfakultät an der Universität Innsbruck war er ein großer Freund des Ordens. Er sorgte dafür, dass neue Patres an seine Kirche und ins Gesellenhaus kamen und als 1917 das Jesuitenverbot aufgehoben wurde, die Einschränkungen für die Tätigkeit des Ordens hinfällig wurden, konnte in der Stresemannstrasse, der damaligen Königgrätzer Straße, auch mit staatlichem Einverständnis offiziell die erste Niederlassung der Jesuiten in Berlin gegründet werden. Die St. Clemens-Kirche und das Kolping-Hospiz stellen damit ein wichtiges Zeugnis der Berliner Geschichte, insbesondere der wechselvollen Geschichte der katholischen Minderheit in Berlin dar.
B. Kulturelle Bedeutung
Mit der geschichtlichen Bedeutung des Komplexes einher geht die überragende kulturelle Bedeutung des architektonischen Gesamtensembles. Als Gesellenhaus erbaut, ist es lebendiges Spiegelbild eines architektonischen Gegenentwurfes zu den engen, menschenunwürdigen Mietskasernen der Gründerzeit Berlins. Als Wirkungsort seines Erbauers Clemens August Kardinal von Galen, ist es Zeugnis des Widerstands gegen den Nationalsozialismus und Erbe einer außergewöhnlichen Persönlichkeit, eines Menschens, der aufgrund seines mutigen Eintretens gegen den Nationalsozialismus und aufgrund seines Lebenszeugnisses selig gesprochen worden ist. Die St. Clemens Kirche kann damit als ein einer kirchliche Sekundärreliquie nahestehender Wert von besonderer kultureller und religiöser Bedeutung angesehen werden. Sie ist zugleich ein Zeugnis für das Wiederaufleben katholischer Kultur, beherbergte sie doch die erste offizielle Niederlassung des Jesuitenordens in Berlin.
C. Architektonische Bedeutung
Die St. Clemens Kirche und das Kolping-Hospiz stellen ein Gebäudeensemble von besonderer architektonischer Bedeutung dar. Auf die Besonderheiten der Architektur wurde bereits ausführlich eingegangen. Im Gesamtkomplex spiegelt sich das Idealbild der katholischen Sozialbewegung des 19. Jahrhunderts wieder, die darum bemüht war, insbesondere den Arbeitern und Handwerkern menschenwürdige Wohnverhältnisse zur Verfügung zu stellen. Die Anlage ist ein architektonisches Meisterwerk, das die für die Unterkunft der Handwerker und ihre sozialen und gesundheitlichen Bedürfnisse erforderlichen Funktionen auf engstem Raum, gleichzeitig aber in großzügiger und ästhetisch ansprechender Weise zur Verfügung stellt. Im Prinzip wurde eine kleine Idealstadt mit Wohnungen, eigener Kirche und Veranstaltungsräumen gleichsam als in Stein gehauene Utopie entworfen.
Hervorzuheben ist insbesondere die St. Clemens Kirche mit ihren holzgeschnitzten Türen, der Orgel und einem riesigen Wandbild, das Christus als guten Hirten darstellt. Die Kirche ist als klassische dreischiffige Basilika errichtet und folgt mit ihren neo-romanischen Rundbogenelementen dem historistischen Zeitgeist, ist jedoch erstaunlich sachlich gehalten. In seiner Schlichtheit nimmt der Bau daher bereits die Stilelemente der in den dreißiger Jahren vorherrschenden Formenstrenge vorweg und kontrastiert damit in besonderer Weise zu den historistischen Kirchenbauten der Gründerzeit, wie etwa Herz-Jesu in Prenzlauer Berg. Die St. Clemens Kirche stellt damit, insbesondere auch wegen des in dieser Form sehr seltenen riesigen Wandgemäldes, ein wertvolles architektonisches Zeugnis dieser Epoche dar, an deren Erhaltung auch aus architektonischen Gründen ein erhebliches öffentliches Interesse besteht.